[zurück]

Ulrike Wrobel (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder):

Formen der Personalreferenz in der Deutschen Gebärdensprache (DGS)

Vortrag im Rahmen von „Das Konkrete als Zeichen“, 12. Internationaler Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS), Stuttgart, 9. bis 12. Oktober 2008; Sektion „Gesten in der Kommunikation: Prozesse der Konkretisierung und Abstraktion“.

 

 

Um sich auf Personen zu beziehen, die in einer Sprechsituation an- oder abwesend sind, können Sprecher visueller Sprachen verschiedene Handformen nutzen, z.B. den Zeigefinger, eine Kombination aus Zeigefinger und Daumen oder die gespreizte Hand. Diese Handformen können zur Bildung unterscheidbarer Gebärden benutzt werden, mit denen jeweils andere Referenzobjekte im Wissen der Gesprächsteilnehmer aufgerufen werden können. Die einzelnen Gebärden werden hinsichtlich ihres Abstraktionsgrades geordnet. Dabei wird der Versuch unternommen, die inhaltliche Füllung der Dichotomie abstrakt-konkret exemplarisch zu bestimmen.

Beispielsweise kann die Zeighand, die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger, zum deiktischen Zeigen benutzt werden (a.). Dabei weist die Handinnenfläche meistens nach vorn oder nach unten, zum Boden. Zeigt die Handinnenfläche hingegen nach oben (b.), ist die Spitze des Zeigefingers gen Himmel orientiert. Die so produzierte Handform (b.) ist in Bewegung lediglich im Ausnahmefalls als Deuten auf den Himmel zu verstehen. Normalerweise wird so eine andere Gebärde im Wissen der Gesprächsteilnehmer aufgerufen, was z.B. durch die Art der Be­wegung angezeigt wird: Mit der Form (b.), die die Gebärde PERSON (Boyes-Braem 1995) genannt wird, wird durch den aufrechten Zeigefinger vorrangig auf andere Referenzobjekte als den Himmel Bezug genommen, nämlich auf aufrecht stehende oder sich bewegende Lebewesen.

In der Literatur wird der Gebrauch der Handform (a.) als eine konkrete Zeigehandlung auf etwas gedeutet und Index genannt (Keller 1998). Demgegenüber wird besonders hervorgeho­ben, dass mit der Handform (b.) auf eine Vielzahl von Referenzobjekten Bezug genommen werden kann. Dies scheint mir einer der Gründe dafür zu sein, dass (b.) als „klassifizierende Handform“, „Klassifizierer“ oder „Klassifikator“ bezeichnet wird. Hinter dieser Begriffswahl verbirgt sich vermutlich die Ansicht, dass Abstraktion auf Verallgemeinerung beruht, dass etwas/ ein Begriff dadurch zur Abstraktion wird, dass man es/ihn als „Destillat eines vielfälti­geren Dinges oder einer Mehrzahl solcher Dinge behandelt“ (Arnheim 1988: 153). Der Fall, dass etwas als „Extrakt eines Vielfältigeren“ (ebd. 152) benutzt wird, liegt aber auch beim Gebrauch der Form (a.) vor: Deiktisches Zeigen mit der Zeighand kann in visuellen Sprachen nicht nur gebraucht werden, um auf anwesende Entitäten zu verweisen: Auch auf Personen oder Orte, die nicht Teil der betreffenden Sprechsituation sind, kann mit einem deiktischen Zeigen Bezug genommen werden. Ferner können als mögliche gezeigte Inhalte auch Themen oder Diskursobjekte auftreten; Dinge, die als abstrakt gelten, weil sie nicht unmittelbar sinnlich wahrnehmbar sind – m.E. eine kontingente Bestimmung dessen, was Abstraktion ausmacht.

Durch den Vergleich der Objekte, auf die mit verschiedenen Handformen Bezug genommen wird, möchte ich herausarbeiten, inwiefern bestimmte Handformen bzw. Gebärden visueller Sprachen als abstrakte oder konkrete Formen bezeichnet werden können.